Ilyushin Il-10

Die Iljuschin Il-10 ist das ultimative Beispiel für robuste sowjetische Bodenangriffstechnik in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Aufbauend auf den Lehren der Il-2 Sturmovik kombiniert sie gesteigerte Geschwindigkeit, verbesserte Panzerung und moderne Bewaffnung. Als „Fliegender Panzer“ diente sie ab 1945 in zahllosen Luftstreitkräften und prägte taktische Luftnahunterstützung bis weit in die 1950er-Jahre hinein.

Entwicklungsgeschichte

Vorgeschichte: Vom „Sturmovik“ zur Il-10

Bereits die Il-2 hatte sich im Zweiten Weltkrieg bewährt, litt jedoch unter begrenzter Manövrierfähigkeit und schwacher Motorleistung. Iljuschin sammelte im Krieg zahllose Erfahrungswerte und legte sie in das Nachfolgemuster Il-10. Ziel war ein schnelleres, wendigeres Flugzeug, das feindliche Panzer und Stellungen wirkungsvoller bekämpfen konnte.

Prototypenphase und Erprobung

Im Frühjahr 1944 rollte der erste Il-10-Prototyp mit einem stärkeren Mikulin AM-42-Motor aus. Schon im November absolvierte das Muster erste Testflüge, in denen höhere Endgeschwindigkeiten und bessere Steigrate gegenüber der Il-2 bestätigt wurden. Ab Ende 1944 starteten die – mittlerweile seriennahen – Flüge mit vollständiger Panzeraufhängung und Bombenlast.

Serienproduktion und Einsatzbeginn

Ab März 1945 begann im Werk Uljanowsk die Serienfertigung. Noch im gleichen Jahr erhielten die ersten Frontstaffeln die neue Il-10. Sie kam deutlich zu spät für den Zweiten Weltkriegseinsatz, dominierte jedoch rasch die sowjetische Nachkriegsfliegertruppe und exportierte Erfolgsmodell in befreundete Staaten.

Konstruktion und Aufbau

Rumpf und Cockpit

Die Il-10 besitzt einen verschweißten Stahlrohr-Gitterrumpf mit Sperrholz- und Metallbeplankung. Vor dem Cockpit schützt eine 55 mm starke Panzerplatte den Piloten. Das Zweisitzer-Cockpit (Pilot und Funker/Schütze) bietet durch verstärktes Seitenfenster gute Rundumsicht und erlaubt im Notfall schnelle Flucht durch separate Ausstiege.

Tragwerk und Landeklappen

Der gerade Mitteldecker verfügt über zwei massive Kastenholme, Vollmetallbeplankung und große Fowler-Landeklappen zur Erhöhung der langsamen Flugtoleranz. Winglets oder Wingtip-Tanks gab es nicht – stattdessen konnten an vier Unterflügelstationen zusätzliche Kraftstofftanks oder Zusatzausrüstung mitgeführt werden.

Fahrwerk

Das einziehbare Dreiradfahrwerk verstaut die Räder komplett in aerodynamischen Nischen. Hydraulikdämpfer schlucken harte Anflüge auf provisorischen Pisten. Ein robustes Bugrad unter der Funkerbucht stabilisiert das Rollen, während Trommelbremsen an den Hauptbeinen enge Wendungen auf Feldflugplätzen erlauben.

Bewaffnung und Panzerung

  • Vorne: zwei 23 mm NS-23-Kanonen im Rumpf, zwei 7,62 mm SchKAS-MGs in den Flügelwurzeln
  • Bombenlast: bis zu 600 kg an vier inneren Pylonen (je 150 kg)
  • Raketen: vier bis acht RS-82-Leichtraketen oder zwei RS-132-Größraketen
  • Panzerplatten an Bug, Instrumentenbrett und Sitzrahmen schützen die Besatzung gegen Beschuss aus Boden- und Luftwaffen

Technische Daten

Abmessungen

Spannweite: 14,50 m Länge: 11,65 m Höhe: 4,03 m Flügelfläche: 29,5 m²

Gewichte und Lasten

Leergewicht: 5 028 kg Zulässiges Startgewicht: 7 000 kg Maximale Bombenlast: 600 kg Flächenbelastung (max): 237 kg/m²

Antrieb

Motor: Mikulin AM-42 V-12-Sternmotor, flüssigkeitsgekühlt Leistung: 1 850 PS (1 360 kW) Propeller: ein vierblättriger Metallpropeller mit verstellbarer Blattwinkel

Leistung und Flugbereich

Maximale Geschwindigkeit: 570 km/h (in 5 000 m) Reisegeschwindigkeit: 450 km/h Dienstgipfelhöhe: 8 700 m Stallgeschwindigkeit (Landeklappen ausgefahren): 160 km/h Geringste Sinkrate: 1,4 m/s Steigrate: 7,2 m/s Normreichweite: 720 km Ferry-Reichweite mit Zusatztanks: 1 400 km

Einsatzprofil

Bodenangriff und Panzerbekämpfung

Die Il-10 operierte meist in Formationsgruppen: unter Begleitung durch Jagdflugzeuge drangen sie tief ins Feindgebiet vor, setzten Bomben und Raketen gegen Panzerkolonnen ein und sicherten damit den Vormarsch mechanisierter Truppen.

Unterstützungsflüge und Nachkriegsoperationen

Im Koreakrieg flogen sowjetische Il-10-Einheiten verdeckte Angriffe gegen südkoreanische und US-Stellungen. Auch in China, Nordkorea und Ostblockstaaten blieb das Muster bis Ende der 1950er in aktiven Luftstreitkräften.

Variantenübersicht

Il-10 (Basisversion)

Standard-Bodenangriffsflugzeug mit zwei Kanonen, zwei MGs und Bombenstationen.

Il-10M

Aufgewertete Motorisierung mit AM-42-M, verstärktem Fahrwerk und leicht verbesserter Avionik.

Il-10U (Übungsvariante)

Entwaffnet, mit Doppeleinsteuerung im Cockpit für Piloten- und Waffentraining.

Exportversion UTB-2

Vereinfacht, mit reduzierter Panzerung und angepasster Bewaffnung für verbündete Luftstreitkräfte.

Erhaltungsstatus und Restaurierung

Museen und Flugvorführungen

Weltweit existieren nur noch wenige flugfähige Exemplare. Museen wie in Monino (Russland) und Beijing (China) präsentieren statische Exponate, während private Sammler an Restaurierungen arbeiten.

Technische Herausforderungen

Alte Panzerbleche korrodieren, AM-42-Motoren sind selten und müssen oft rekonstruiert werden. Ersatzteile werden nach Originalplänen angefertigt, Karosseriebleche durch Formpressung nachgebaut.

Fazit

Die Iljuschin Il-10 verkörpert die Spitze sowjetischer Bodenangriffstechnologie der frühen Nachkriegszeit: schnell, gut gepanzert und schwer bewaffnet. Obwohl sie im Einsatz schnell von Strahlflugzeugen abgelöst wurde, bleibt ihr Vermächtnis als „fliegender Panzer“ legendär. Technisch versierte Luftfahrtfans schätzen bis heute ihre klaren Linien und die kompromisslose Auslegung als Angriffsflugzeug.

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